Kurt Friedrich (1901–1945)
Kurt Friedrich, geboren am 12. August 1901 in Küstrin (heute Kostrzyn/PL) und dort wohnhaft, war Inhaber einer Glaserei. Am 18. März 1945, zwölf Tage vor der endgültigen Eroberung der Stadt durch die Rote Armee, wurde er an seinem Wohnort verhaftet und zunächst in das frühere deutsche Kriegsgefangenenlager Stalag III C Alt Drewitz (heute Stare Drzewice/PL) verlegt. Später wurde er in ein Lager der Roten Armee zur Aufnahme deutscher Kriegsgefangener in Neudamm (heute Dębno/PL), ca. 10 km nördlich von Alt Drewitz, verbracht. Dort verlor sich seine Spur. Seine Frau und seine drei Kinder, die vor der Besetzung von Küstrin evakuiert worden waren, erhielten nie eine Nachricht über seinen Verbleib.
Die Prüfung der Datenbanken in der Dokumentationsstelle ergab, dass Kurt Friedrich als „Kaufmann und Fabrikbesitzer“ sowie „Nazist“ am genannten Tag verhaftet worden war, weitere Angaben lagen jedoch nicht vor. Auch eine Anfrage von 2006 an das Staatliche Russische Militärarchiv (RGVA) blieb ohne Ergebnis. Aufgrund eines Hinweises des damaligen Botschafters der Russischen Föderation in Deutschland, Wladimir M. Grinin, wandte sich sein Sohn Dr. Helmut Friedrich im Oktober 2010 erneut mit der Bitte um Aufklärung des Vermisstenschicksals an die Dokumentationsstelle und stellte den Antrag auf Überprüfung einer möglichen Verurteilung seines Vaters. Im Ergebnis teilte die Militärstaatsanwaltschaft der Strategischen Raketentruppen in Moskau mit Schreiben vom 16. März 2011 mit, dass Kurt Friedrich am 26. März 1945, also nur acht Tage nach seiner Verhaftung, durch das Militärtribunal der 5. Stoßarmee nach dem Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR vom 19. April 1943 („Ukaz 43“) zum Tode verurteilt worden sei. Das Präsidium des 3. Bezirksmilitärgerichts habe dieses Urteil im Rahmen der Prüfung des Antrages am 14. März 2011 aufgrund der zugrundeliegenden Straftat in ein Urteil nach Punkt „b“, § 1, Artikel 2 des Alliierten Kontrollratsgesetzes Nr. 10 „umqualifiziert“, eine Rehabilitierung sei nicht möglich. Über die näheren Umstände der Verurteilung, eine mögliche Vollstreckung und den Ort der Bestattung wurde Herr Dr. Friedrich jedoch weiterhin im Unklaren gelassen.
Am 4. Mai 2011 erhielt Helmut Friedrich eine Kopie dieses Beschlusses des 3. Bezirksmilitärgerichts. Demnach habe sein Vater, der Mitglied der NSDAP war, vor dem Militärtribunal gestanden, sowjetische und französische Kriegsgefangene in seinem Betrieb hart behandelt und wie Sklaven ausgebeutet zu haben. Dies erschien seinem Sohn unwahrscheinlich, denn er selbst hatte 1960 ein Jahr lang in Paris gelebt und zwei französische Kriegsgefangene aus der Werkstatt seines Vaters besucht und war dort sehr freundlich aufgenommen worden.
Zudem fielen dem gelernten Glaser und Diplom-Kaufmann sofort weitere Ungereimtheiten auf: Sein Vater war zunächst als „Nationalsozialist“ ohne erkennbaren Bezug zur Beschäftigung von Zwangsarbeitern verhaftet worden. Die Verurteilung erfolgte wegen vermeintlicher Vergehen auf deutschem Gebiet nach einem Erlass („Ukaz 43“), der nur für Straftaten auf sowjetischem Territorium galt. Zudem war die Todesstrafe in diesem Erlass nur für „Mordtaten“ an gefangenen Rotarmisten vorgesehen. Die wohl in diesen Unzulänglichkeiten begründet liegende Umwertung in eine Verurteilung nach Alliiertem Kontrollratsgesetz war fragwürdig, da letzteres erst ein dreiviertel Jahr nach der Verurteilung erlassen wurde und zudem einen beachtlichen Ermessungsspielraum beim Strafmaß vorsah. Kam das Geständnis ohne Zwang zustande? Gab es Zeugenaussagen der Kriegsgefangenen und damit über das Geständnis hinausgehende Beweismittel über die vermeintlich schlechte Behandlung? Welche Beweise gab es für eine vermeintliche „Kriegsproduktion“ in der Glaserei? Und immer noch: Wann war das Urteil vollstreckt worden?
Erst eine von der Dokumentationsstelle vermittelte Anfrage an das Zentralarchiv des FSB in Moskau erbrachte zumindest über Letzteres endgültige Klarheit. In einem höflichen, knappen Schreiben teilte die Archivleitung am 16. Dezember 2011 mit, Kurt Friedrich habe sich während der Ermittlungen in Untersuchungshaft des 237. Schützenregiments der Reserve befunden und das Urteil sei am 30. März 1945 in Neudamm vollstreckt worden. Die Grabstätte befände sich „1 Kilometer östlich der Stadt Neudamm“. Eine Einsichtnahme in die Strafakte blieb allerdings aufgrund der Nicht-Rehabilitierung verwehrt.
Nachdem weitere Recherchen ergeben hatten, dass andere Verurteilungen nach „Ukaz 43“ im selben Zeitraum durch dasselbe Gericht der 5. Stoßarmee 1997 und 1998 aufgehoben und die Verurteilten rehabilitiert worden waren, entschloss sich Helmut Friedrich, dazu auch von russischer Seite ermuntert, den Klageweg zu beschreiten. Hierfür war die Beauftragung eines in Russland zugelassenen Rechtsanwalts erforderlich. Dessen entsprechende Beschwerde gegen die Ablehnung der Rehabilitierung wurde jedoch am 17. April 2013 vom Obersten Gericht der Russischen Föderation abgewiesen. Auch Bitten an den Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation um Unterstützung, der Einspruch gegen die Ablehnung der Beschwerde und eine Beschwerde beim Verfassungsgericht der Russischen Föderation blieben erfolglos. Die von Helmut Friedrich benannten zwei Zeugen und vorgelegten Beweise wurden vom Gericht nicht einmal erwähnt. Sein Antrag, bei der Gerichtsverhandlung anwesend zu sein, wurde ignoriert, da er kein Betroffener sei. Seinem Anwalt wurde von Anbeginn die Einsichtnahme in die Strafakte verwehrt.
Das persönliche Fazit von Helmut Friedrich fällt ernüchternd aus: „Bei Verurteilungen nach ‚Ukaz 43‘ sollte man nicht den Klageweg beschreiten. Die Geheimhaltungsfristen enden nach 75 Jahren. Das Jahr 2020 wird zeigen, wozu sich die Regierung und Duma entschließen werden. Eine Verlängerung der Fristen ist nicht ausgeschlossen.“
Zur Person
Nachname: | Friedrich |
Vorname: | Kurt |
Nation/Land: | Deutschland |
Geburtsdatum: | 12.08.1901 |
Geburtsort: | Küstrin |
Sterbedatum: | 30.03.1945 |
Sterbeort: | Neudamm (heute Dębno/PL) |
Letzter frei gewählter Wohnort: | Küstrin |
Begräbnisstätte: | „1 Kilometer östlich der Stadt Neudamm“ |
Ergänzungen
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