Hans-Joachim Wetzki (*1929)
Im Oktober 1999 erfuhr Hans-Joachim Wetzki, geboren am 5. Oktober 1929 in Berlin, von der Rehabilitierung durch die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation. Diese hatte das mehr als 53 Jahre zuvor gegen ihn verhängte Urteil eines Militärtribunals der 16. Luftarmee, die in Woltersdorf bei Berlin stationiert war, für unrechtmäßig erklärt und aufgehoben. Im Dezember 2017 wandte sich Hans-Joachim Wetzki auf Anregung der Gedenkstätte Potsdam-Lindenstraße an die Dokumentationsstelle Dresden und bevollmächtigte diese, seine Strafakte im Moskauer Archiv des FSB einzusehen.
Die Durchsicht der Akte P-2881 im März 2018 ermöglichte einen Einblick in die Verfolgung einer vermeintlichen „Werwolf“-Untergrundgruppe durch die sowjetischen Sicherheitsorgane. Beim „Werwolf“ handelte es sich um den – weitgehend wirkungslosen – Versuch des NS-Regimes, den Kampf gegen die Alliierten mittels im Untergrund partisanenmäßig operierender Einheiten nach der Besetzung des Deutschen Reiches fortzusetzen. Im vorliegenden Fall hatte der Ortsgruppenleiter der NSDAP von Dahlwitz bei Berlin im April 1945 örtliche Mitglieder der Hitlerjugend auf einer Versammlung für diesen aussichtslosen Kampf verpflichtet und militärisch ausgebildet. Die 15- bis 16-jährigen Jungen sollten Rotarmisten aus dem Hinterhalt töten, Brücken und Eisenbahnwege sprengen sowie Militärobjekte angreifen. Zu diesem Zweck wurden auch Waffen und Munition versteckt. Hans-Joachim Wetzki gehörte weder zu den Teilnehmern der Versammlung noch hatte er Waffen oder Munition versteckt.
Zur Aktivierung der Untergrundgruppe kam es jedoch infolge der Kapitulation nicht. Gleichwohl wurde Hans-Joachim Wetzki, der ohne sein Wissen als Unterführer einer „Werwolf“-Gruppe rekrutiert worden war, zusammen mit anderen Jungen aus der Umgebung von Hoppegarten bei Berlin Anfang November von der Aufklärungsabteilung des 331. Grenztruppenregiments des NKWD festgenommen und zunächst in Bernau inhaftiert. Von dort aus wurde er in die Lindenstraße Potsdam überstellt. Wie die Geheimpolizei auf die Jugendlichen gekommen war, ließ sich aus der Akte nicht entnehmen. Möglicherweise war der NKWD auf das angelegte Waffenversteck gestoßen oder einer der verantwortlichen NSDAP-Führer hatte die Jugendlichen denunziert. In den nun folgenden, teils brutalen Verhören wurden die Jungen aufgefordert, die Namen all derjenigen zu nennen, die an dem Vorbereitungslehrgang und an der Versammlung im April 1945 teilgenommen hatten. Die Vernehmer wollten darüber hinaus unter anderem wissen, wie die militärische Ausbildung ablief, wie es zur Gründung der Gruppe kam, wer sie anleitete, welche Aufgaben ihr gestellt und mit welchen Waffen sie ausgerüstet wurden. Auf die Frage der praktischen Umsetzung des Diversionsauftrages konnte Hans-Joachim Wetzki nur antworten, dass die Gruppe nicht aktiv geworden war. Das lag auch daran, dass er als Mitglied des Volkssturms an den Kämpfen um Berlin teilnahm und dabei in Kriegsgefangenschaft geriet. Doch auch nach seiner Entlassung aus der Gefangenschaft hatte er keinerlei Anweisung zur Aktivierung „seiner“ Werwolf-Gruppe erhalten und dessen andere Mitglieder auch nicht getroffen.
Trotzdem wurde er am 27. Februar 1946 vom Militärtribunal der 16. Luftarmee auf Grundlage der Artikel 58-8, 58-9 und 58-11 des Strafgesetzbuches der Russischen Sozialistischen Sowjetrepublik (RSFSR) mit zehn Jahren Besserungsarbeitslager bestraft. Mit ihm zusammen wurden fünf weitere Jugendliche – allein aufgrund ihrer Erklärung, der „Werwolf“-Gruppe beizutreten – verurteilt, zwei von ihnen zum Tode. Heinz Schmauks und Wolfgang Fricke wurden am 3. Juli 1946 im Alter von 17 bzw. 15 Jahren erschossen.
Hans-Joachim Wetzki hatte Glück im Unglück und kam am 14. März 1946 zunächst in das NKWD-Gefängnis Neustrelitz und von dort am 16. September 1946 in das Speziallager Sachsenhausen. Anfang 1947 wurde er zur Zwangsarbeit in verschiedene sowjetische Lager deportiert. Nach der Rückverlegung in das Lager Sachsenhausen kam er dort bei dessen Auflösung im Februar 1950 zur Entlassung.
Im Herbst 1950 gehörte Hans-Joachim Wetzki in Berlin-Nikolassee zu den Mitgründern der Vereinigung der Opfer des Stalinismus (VOS). Im Weiteren engagierte er sich im Untersuchungsausschuss freiheitlicher Juristen (UfJ), einer Organisation, die systematisch Zeugenaussagen und Indizien zu Unrechtshandlungen in der DDR sammelte und öffentlichkeitswirksam vermittelte sowie bei der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit (KgU). Wegen dieser Tätigkeit wurde er am 10. Mai 1952 von der Staatssicherheit entführt und am 21. Oktober 1952 vor dem Landgericht von Ostberlin zu sieben Jahren Zuchthaus verurteilt. Zwei Jahre später kam wegen Anstiftung zum Versuch einer Gefangenenbefreiung noch ein Jahr Gefängnis dazu. Die Strafe verbüßte er in den Strafvollzugsanstalten Berlin-Rummelsburg und Brandenburg-Görden; aus letzterer wurde er am 9. Mai 1960 als inzwischen 30-Jähriger entlassen.
Nach der Haft und anschließenden Rehabilitationsmaßnahmen arbeitete Herr Wetzki in der Berliner Senatsverwaltung für Inneres und später in der Personalstelle der Technischen Universität Berlin. Heute lebt er als Rentner in Berlin-Tempelhof.
Mehr als zwölf Jahre seiner Jugend verbrachte Herr Wetzki in Lagern und Gefängnissen der sowjetischen Geheimpolizei und des SED-Regimes. Die Entführung und die langen Haftjahre hinterließen tiefe Spuren in seinem Leben, wie zum Beispiel ein ausgeprägtes Bedürfnis, Räume, in denen er sich aufhält, zu überblicken, aber auch einen ausgeprägten Drang nach Freiheit und Selbstbestimmung, verbunden mit der Abneigung jeglicher Versuche, ihn zu bevormunden. Er schätzt das große Glück, eine Frau gefunden zu haben, mit der er stets über seine Haft sprechen konnte und die für seine Erlebnisse und deren Folgen viel Verständnis aufbrachte.
Zur Person
Nachname: | Wetzki |
Vorname: | Hans-Joachim |
Nation/Land: | Deutschland |
Geburtsdatum: | 05.10.1929 |
Geburtsort: | Berlin |
Ergänzungen
Links: |
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