Bernhard Siegmund (1908–1951)
Ihren Großonkel Bernhard Siegmund hat Frau L. nie kennengelernt. Als er am 14. Mai 1951 in Moskau erschossen wurde, war sie (Jg. 1965) noch gar nicht geboren. Im Rahmen ihrer Ahnenforschung, die sie aus Interesse an der Familiengeschichte betreibt, stieß sie zufällig auf eine Todesanzeige, die ihr aus einem alten Fotoalbum entgegenflatterte. Der Name desjenigen, dem sie galt, war ihr bis dahin unbekannt. Schnell bemerkte sie, dass sein Schicksal in der Familie tabuisiert wurde, war er doch am 27. September 1950 unter mysteriösen Umständen in der Gaststätte „Gasthof zur Linde“ in Slate bei Parchim (heute Mecklenburg Vorpommern) verhaftet worden.
Bei ihrer anschließenden Internetrecherche stieß Frau L. auf die Website www.edition-wahrzeit.de, auf der unter anderem die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje zwischen 1950-1953 verzeichnet sind, auf seinen Namen. Von der Websitebetreiberin Ute Görge-Waterstraat erfuhr sie schließlich, dass in der Stiftung Sächsische Gedenkstätten möglicherweise Kopien von Dokumenten zum Schicksal ihres Großonkels lagerten. Daraufhin sandte sie sofort eine E-Mail nach Dresden.
Bereits drei Tage später konnte sie die Rehabilitierungsbescheinigung, die in der Dokumentationsstelle der Stiftung bereits vorlag, in den Händen halten. Auch erfuhr sie, dass eine Akteneinsicht im Archiv des Föderalen Sicherheitsdienstes der Russischen Föderation (FSB) unter bestimmten Bedingungen möglich war. Anfang April 2013 übersandte sie die hierfür notwendigen Unterlagen und Anfang 2014 erhielt sie eine zusammenfassende Auskunft zu den Inhalten der Akte und einige Kopien. Diese verstärkten ihr Interesse daran, wie ihr Großonkels ins Visier der sowjetischen Geheimpolizei geraten war, und um weitere Informationen und Kopien zu erhalten, erteilte sie im Sommer 2017 eine nochmalige Vollmacht zur Akteneinsicht.
Was ergab nun die Durchsicht der 271-seitigen Akte P-2918? Bernhard Siegmund, damals 42-jähriger Inhaber der Firma „Holzverschwelung Slate GmbH“ in Parchim, war unter dem Vorwurf festgenommen worden, seit einem Jahr „systematisch Spionageinformationen über die sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland gesammelt und den Agenten des englischen Geheimdienstes“ weitergegeben zu haben. Nach der Verhaftung brachte man ihn nach Schwerin in das Gefängnis am Demmlerplatz, wo er mehr als 20 Verhören unterzogen wurde. Schließlich bekannte er sich schuldig, bei einem geheimen Treffen in Berlin Informationen über die in Parchim stationierten Einheiten der Roten Armee, darunter über Panzer und über den Flugplatz in Parchim, an eine englische Agentin übergeben zu haben. Außerdem gab er zu, dass er weitere Deutsche als Agenten angeworben und Geld dafür erhalten habe.
Nach Abschluss der Ermittlungen wurde Bernhard Siegmund am 5. März 1951 durch das Militärtribunal der Gruppe der sowjetischen Besatzungstruppen in Deutschland (Feldpostnummer 48240) wegen Spionage zum Tode durch Erschießen unter Einzug des gesamten Vermögens verurteilt. Die Verhandlung, zu der weder Verteidiger noch Zeugen zugelassen waren, dauerte von 16.30 bis 21 Uhr. In seinem Gnadengesuch, das er zwei Tage später in Schwerin verfasste, bat Bernhard Siegmund um Strafmilderung, doch das Präsidium des Obersten Sowjets lehnte das Gesuch ab. Bernhard Siegmund wurde nach Moskau überführt und dort wahrscheinlich im Gefängnis Lefortowo am 14. Mai 1951 erschossen.
Erst elf Jahre später erhielten die Angehörigen über den DRK Suchdienst in Hamburg vom Sowjetischen Roten Kreuz die Information, er sei am 14. Mai 1951 verstorben. Die Todesumstände wurden in der Mitteilung jedoch verschwiegen. Erst mehr als 47 Jahre nach der Hinrichtung rehabilitierte die Hauptmilitärstaatsanwaltschaft der Russischen Föderation Bernhard Siegmund. Im dazugehörigen Beschluss heißt es zur Begründung, Beweise über die Sammlung und Übergabe von Nachrichten zum Schaden der UdSSR oder ihrer Bürger lägen in der Akte nicht vor. Die vom Verurteilten übermittelten Informationen seien allgemein zugänglich gewesen, um Staatsgeheimnisse habe es sich nicht gehandelt. Auf dem Donskoje-Friedhof in Moskau ist der Name von Bernhard Siegmund seit Juli 2005 im dort ausliegenden Gedenkbuch für die Opfer politischer Repressionen vermerkt.
Was den Verdacht der Geheimpolizei gegen Bernhard Siegmund erweckte, wie auch Anlass und Hintergrund von Verhaftung und Verurteilung bleiben allerdings weiterhin im Dunkeln. Im Juli 1947 war er aus der englischen Zone nach Parchim gezogen und hatte den Holzveredelungsbetrieb käuflich erworben. Seine frühere Offizierslaufbahn in der Wehrmacht und die Teilnahme am Krieg gegen die Sowjetunion mochten zusätzlichen Argwohn erzeugt haben. Oder machten ihn seine Reisen nach Hamburg, Lübeck und Westberlin verdächtig? Vielleicht pflegte er wirtschaftliche Beziehungen zur Roten Armee? Vielleicht hatte jemand ein Auge auf das Grundstück und den Betrieb geworfen? Möglicherweise aber steckt noch etwas ganz anderes dahinter. Dass Bernhard Siegmund aus politischen Gründen spionierte, scheint allerdings nach gegenwärtigem Stand unwahrscheinlich.
Trotz dieser offengebliebenen Fragen ist Frau L. froh, für die Familienchronik Kopien von Archivdokumenten, darunter Verhörprotokolle, das Urteil des Militärtribunals und die Bescheinigung über die Vollstreckung des Todesurteils, bekommen zu haben. Sogar zwei Vernehmungsfotos waren darunter. Schließlich wusste sie am Beginn ihrer Recherchen so gut wie nichts über ihren Großonkel. Für sie hat sich der Aufwand gelohnt. Ihr Resümee: „Ich bin der Dokumentationsstelle der Stiftung Sächsische Gedenkstätten sehr dankbar für ihre segensreiche Arbeit. Mit ihrer Unterstützung ist es mir gelungen, Licht in dieses dunkle Kapitel meiner Familiengeschichte zu bringen, das nie ein Gesprächsthema gewesen ist.“
Zur Person
Nachname: | Siegmund |
Vorname: | Bernhard |
Nation/Land: | Deutschland |
Geburtsdatum: | 20.08.1908 |
Geburtsort: | Schiast, Krs. Johannesburg (Ostpreußen) |
Sterbedatum: | 14.05.1951 |
Sterbeort: | Moskau |
Letzter frei gewählter Wohnort: | Parchim |
Begräbnisstätte: | Donskoje-Friedhof Moskau |
Ergänzungen
Links: |
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