Gedenkstätte Münchner Platz widmet sich frühen NS-Prozessen: sowjetische und ostdeutsche Gerichte verurteilten parallel
06.06.25

Vor 80 Jahren, nach der Kriegsniederlage des nationalsozialistischen Deutschlands, begannen Gerichte, Deutsche wegen NS-Verbrechen zu verurteilen. Im Osten Deutschlands waren dies auf der einen Seite sowjetische Militärtribunale (SMT) – auf der anderen Seite deutsche Gerichte. Warum hat es zwischen 1945 und 1950 überhaupt diese parallelen Systeme gegeben? Und wie haben sie NS-Verbrechen juristisch aufgearbeitet? Diesen Fragen ging eine gemeinsame Veranstaltung des Hannah-Arendt-Instituts und der Gedenkstätte Münchner Platz Dresden am 5. Juni 2025 nach.
Das Podiumsgespräch zur frühen Ahndung von NS-Verbrechen in Ostdeutschland hatte viele Interessierte angezogen: Der Veranstaltungssaal der Gedenkstätte Münchner Platz Dresden war mit über 60 Personen komplett gefüllt. Prof. Dr. Mike Schmeitzner (HAIT) erklärte zunächst, wie die sowjetische Besatzungsmacht in Ostdeutschland ab 1945 die Kontrolle übernahm – und das gesamte öffentliche Leben steuerte. „Die Sowjets haben die eigene Justiz gleich mitgebracht“, sagte er. Dies waren in erster Linie sowjetische Militärtribunale, die mit verschiedenen Divisionen nach Deutschland gekommen waren und sich schließlich – unter anderem als „Länder-SMT“ institutionalisierten. Zwischen 1945 und 1955 verurteilten diese Militärgerichte insgesamt 35 000 deutsche Zivilistinnen und Zivilisten, wie Mike Schmeitzner darlegte: „Bis 1947 überwogen bei den vollstreckten Todesurteilen – mit rund 70 Prozent – Verfahren wegen Kriegs- und NS-Verbrechen.“ Insgesamt verhängten die sowjetischen Behörden 4400 Todesurteile, 3600 wurden vollstreckt. SMT tagten von 1945 bis 1950 auch am Münchner Platz in Dresden.
Die ostdeutsche Justiz – von der sowjetischen Besatzungsmacht konsequent von ehemaligen Nationalsozialisten gesäubert – spielte nach 1945 ebenfalls eine wichtige Rolle in der juristischen Aufarbeitung von NS-Verbrechen. „Die meisten dieser Prozesse fanden in der Besatzungszeit vor Gründung der DDR statt“, sagte Dr. Birgit Sack, Leiterin der Gedenkstätte Münchner Platz Dresden. „Die Jahre 1948 und 1949 bildeten dabei den absoluten Höhepunkt.“ Das wiederetablierte Dresdner Landgericht verhandelte bis 1950 einige der größten NS-Prozesse in Sachsen – etwa den Prozess Ende 1946 gegen früheres Personal der Haftanstalt am Münchner Platz, den Dresdner Juristenprozess und den „Euthanasieprozess“ 1947, drei Prozesse gegen Wachpersonal des Konzentrationslagers Hohnstein und den Goehle-Werk-Prozess 1949. „Auch ostdeutsche Gerichte verhängten die Todesstrafe wegen NS-Verbrechen“, sagte Birgit Sack – allerdings weitaus weniger als die SMT: „Bis 1952 ließ die ostdeutsche Justiz 26 Personen hinrichten – davon 13 in der Richtstätte am Münchner Platz.“
Arbeitsteilung zwischen sowjetischen und ostdeutschen Gerichten
Wie aber wurde entschieden, ob sowjetische oder ostdeutsche Gerichte zuständig waren? Mike Schmeitzner sprach von einer „gewissen Faustregel“: Die SMT übernahmen, wenn sowjetische Bürger oder die Sowjetunion als Ganzes betroffen waren: etwa im Falle von deutschen Verbrechen an sowjetischen Zwangsarbeitern oder Kriegsgefangenen oder im Kontext des deutschen Angriffskrieges gegen die Sowjetunion. Birgit Sack legte dar, dass die alliierten Siegermächte im Dezember 1945 verfügt hatten, dass deutsche Gerichte damit beauftragt werden konnten, „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ zu verfolgen – wenn es Verbrechen waren, die von Deutschen an Deutschen verübt worden waren. „Letztlich war es eine Entscheidung der Besatzungsmacht, was sie von diesen Fällen tatsächlich an die deutsche Justiz abgab“, sagte Birgit Sack.
Sowjetische Militärtribunale urteilten in der Regel unter Ausschluss der Öffentlichkeit. In wenigen Fällen ließen die Besatzungsbehörden ausgewählte Besucherinnen und Besucher in den Verhandlungssaal und inszenierten die Prozesse öffentlichkeitswirksam. Ein Beispiel war der Pankower Sachsenhausen-Prozess gegen KZ-Täter von 1947: Filmsequenzen des Prozesses, die in der Wochenschau gezeigt wurden, verdeutlichen, wie die Angeklagten als „Bestien“ vorgeführt wurden. Birgit Sack betonte die breite Presseberichterstattung auch über kleinere ostdeutsche Prozesse, etwa in Denunziationsverfahren. Dank der unterschiedlichen Parteizeitungen sei es Interessierten in der frühen Nachkriegszeit möglich gewesen, ein recht differenziertes Bild der Prozesse und der verhandelten Straftaten zu bekommen.
Wie erfolgreich denn das juristische Vorgehen gegen Nationalsozialisten gewesen sei, fragte Dr. Andreas Kötzing vom Hannah-Arendt-Institut, der die Veranstaltung moderierte. Was die sowjetischen Prozesse anging, zog Mike Schmeitzner ein gemischtes Fazit: Einige Prozesse wie jener gegen Dutzende Angehörige des Chemnitzer Reserve-Polizei-Bataillons 304 seien gründlich geführt worden und hätten „die Richtigen verurteilt“. Die Polizisten hatten in der besetzten Sowjetunion Tausende Juden ermordet. In anderen Fällen hätten die fehlende Rechtsstaatlichkeit und Öffentlichkeit nicht nur unfaire Verfahren hervorgebracht, sondern auch wenig Substanz geliefert. Das lag etwa daran, dass SMT sich hauptsächlich auf die „Geständnisse“ der Angeklagten bezogen, die häufig unter Folter erzielt worden waren. Zeugen wurden kaum befragt, Dokumente nur in geringem Ausmaß herangezogen. Schmeitzner nannte als Beispiel das Verfahren gegen Ernst Rietzsch, den langjährigen Bürgermeister von Schwarzenberg, der ab 1941 als Abteilungsleiter der deutschen Militärverwaltung in der besetzten Sowjetunion tätig war. Rietzsch wurde als Kriegsverbrecher 1946 zum Tode verurteilt und in Dresden hingerichtet. Nach 1990 rehabilitierte ihn die russische Hauptmilitärstaatsanwaltschaft, weil er in den Verhören erklärt hatte, keine „Verbrechen gegen sowjetische Staatsbürger“ begangen zu haben. Seine wirkliche Rolle blieb aufgrund der völlig unzureichenden sowjetischen Ermittlungsarbeit 1946 ungeklärt.
Ostdeutsche Justiz verliert rechtsstaatliche Standards
Der ostdeutschen Justiz bescheinigte Birgit Sack nach 1945 zunächst eine Orientierung an rechtsstaatlichen Standards der Weimarer Republik. Prozesse wurden aufwändig vorbereitet, Zeuginnen und Zeugen gehört, Verteidiger zugelassen, belastende und entlastende Sachverhalte berücksichtigt, differenzierte Urteile gefällt. Dies sei nicht zuletzt sozialdemokratischen Richtern zu verdanken gewesen, die 1933 von den Nationalsozialisten entlassen worden waren und 1945 wieder eingesetzt wurden. Doch ab 1946 wurde dieses Justizpersonal zunehmend durch schnell ausgebildete „Volksrichter“ ersetzt, die im Sinne des neuen kommunistischen Systems urteilten – eine Entwicklung, die nach der Gründung der DDR bis 1952 ihren Abschluss fand: Fortan urteilte die Justiz im Sinne der Staatspartei, der SED. In diesem Punkt sieht Mike Schmeitzner auch einen wichtigen Unterschied zwischen der frühen ostdeutschen Justiz und den sowjetischen Militärtribunalen: „Bei den Sowjets gab es keine Entwicklung. Da wurden die parteigebundenen Richter bereits mitgebracht.“
Was hatte es mit den sowjetischen Militärtribunalen (SMT) in der sowjetischen Besatzungszone Deutschlands und in der frühen DDR auf sich? Prof. Dr. Mike Schmeitzner vom Hannah-Arendt-Institut beantwortet im Video-Interview mit Dr. Bert Pampel, Leiter der Dokumentationsstelle Dresden, die wichtigsten Fragen (75 min).
Kontakt
Volker Strähle (Referent Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit)
0351 46331992
volker.straehle@stsg.de