Die Gedenkstätte Bautzen trauert um Manfred Matthies (1941 – 2025)
27.06.25

Am 19. Juni 2025 verstarb Manfred Matthies: Fluchthelfer aus Idealismus – Gedenkstätten-Guide mit Leib und Seele. Mit schwerem Herzen nehmen wir Abschied von einem großartigen Menschen, der sein Leben dem Einsatz für Freiheit und Gerechtigkeit und der Aufarbeitung des SED-Unrechts gewidmet hat.
Mit 17 Jahren flieht der gebürtige Magdeburger aus der DDR. Er geht nach Westberlin und besucht die dortige Meisterschule des Kunsthandwerks. Nach dem Bau der Berliner Mauer schließt er sich einer studentischen Fluchthelfergruppe an. Sie fälschen Passierscheine und Ausweise, unterstützen Tunnelbauaktionen und fahren in Autos versteckte Flüchtlinge von Ost- nach Westberlin.
„Wir wussten ja, was es bedeutet, nach dem Mauerbau aus der DDR nicht mehr wegzukommen. Da hab‘ ich natürlich mitgemacht. Es war nicht legal, aber notwendig!“ Der BND wirbt einige aus der Fluchthelfergruppe an. Auch Manfred hat eine V-Nummer und übernimmt Kurier- und Erkundungsfahrten in Ostberlin. Laut seiner Stasi-Vernehmungsprotokolle hat er von Ende 1962 bis zum Frühjahr 1964 dreizehn Kontakte zum BND. Bis zu ihrer Auflösung 1966 verhilft die Gruppe über 80 DDR-Bürgerinnen und -Bürgern zur Flucht. Fortan verhilft Manfred auf eigene Faust Menschen zur Flucht in den Westen. Mehrfach gelingt es ihm, Fluchtwillige in präparierten Autos versteckt über die Grenze zu fahren.
Am 29. Dezember 1972 wird er bei einer dieser Aktionen festgenommen. Die Frau, die er in einem umgebauten BMW in den Westen bringen will, steht bereits unter Beobachtung der Staatssicherheit. Nach neun Monaten Stasi-Untersuchungshaft in Berlin-Hohenschönhausen verurteilt ihn das Stadtgericht Berlin im August 1973 wegen „staatsfeindlichen Menschenhandels“, „Spionage“ und „Terror“ zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren. Seine Strafe muss er in der Stasi-Sonderhaftanstalt Bautzen II verbüßen. Neun Monate ist er in strenger Isolationshaft – ohne Bücher, ohne Matratze, ohne Besuch, mit nur halber Verpflegung.
Nach drei Jahren und drei Monaten politischer Haft kauft ihn die Bundesrepublik im März 1976 frei. Manfred kehrt nach Westberlin zurück. Doch es fällt ihm schwer, sich in der Freiheit wieder zurecht zu finden. „All die Erlebnisse einfach abzuschütteln, das ging nicht.“ Die Jahre in denen er recht- und machtlos seinen Bewachern ausgeliefert war, das Erleben der Entwürdigungen und Demütigungen – all das hat tiefe Spuren hinterlassen. Manfred leidet noch Jahrzehnte nach seiner Entlassung unter Angstzuständen, innerer Unruhe, Platzangst und vor allem unter Alpträumen. Es muss immer eine Lampe brennen, damit er einschlafen kann. Und wenn er dann schläft, dann kommen die Träume. „Die Dämonen, also die Leute, die mich in Bautzen II misshandelt haben, auch die, die meinen Fall bearbeitet haben, die Vernehmer und Staatsanwälte, die kehrten an mein Bett zurück. Sie standen plötzlich vor mir und ich habe wirklich mit denen gesprochen, obwohl sie gar nicht da waren.“
Nach dem Ende der DDR werden aus Manfreds Haftorten Berlin-Hohenschönhausen und Bautzen II Gedenkstätten. In den Fluren und Zellen der Gefängnisse finden Besucherinnen und Besucher seit Mitte der 90er Jahre Ausstellungen über die hier inhaftierten Menschen und die historischen Hintergründe politischer Repression in der DDR. Manfred empfindet es als Genugtuung, dass auch sein Haftschicksal an den Orten seines Leidens dokumentiert und gewürdigt wird.
Mit fast 60 Jahren beginnt Manfred Matthies aktiv, die Arbeit dieser Einrichtungen zu unterstützen. Unermüdlich führt er unzählige Besuchergruppen durch die beiden Gedenkstätten, nimmt an Tagungen und Kolloquien zu zeithistorischen Fragestellungen teil und spricht in Zeitzeugen-Interviews offen über seine Hafterfahrungen. Besonders engagiert er sich in der Gedenkstätte Bautzen. Hier steht er dem Team mit Rat und Tat zur Seite. Er berät bei der Entstehung der Dauerausstellungen und ist immer bereit, jede erdenkliche Frage zu erörtern und jede neue Projektidee mitzutragen und zu unterstützen. Er tritt dem Bautzen-Komitee e. V. und dem Förderverein der Gedenkstätte Bautzen bei. An vielen, mitunter langen Abenden, sitzen wir beim Wein zusammen, hören Manfreds Geschichten und debattieren über neue Projekte der Bildungsarbeit.
Wir danken Manfred Matthies für seinen Mut, seine Überzeugung und sein Engagement. Er war ein Mensch, der für seine Überzeugungen eintrat, ohne Rücksicht auf persönliche Risiken, ein kluger, gebildeter, weltoffener Mann, mit Humor und der Gabe, über sich selbst lachen zu können.
Möge sein Vermächtnis uns stets daran erinnern, wie wichtig es ist, für Gerechtigkeit und Freiheit einzutreten.
Die Welt ist ärmer ohne Dich. Ich werde Dich vermissen.
Von Herzen wünsche ich, dass Du die „Dämonen“ endlich los bist. Ruhe in Frieden, lieber Manfred.
Silke Klewin
Leiterin der Gedenkstätte Bautzen
Kontakt
Susanne Hattig (Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit Gedenkstätte Bautzen)
Tel: 03591 530363
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