Gerhard Böhm (1935-1945)
Gerhard Böhm sollte eigentlich nie geboren werden. Seine Mutter, Martha Böhm, war 1932 wegen „Geistesschwäche“ entmündigt worden. 1934 sollte sie zwangssterilisiert werden – allerdings war sie zu diesem Zeitpunkt bereits schwanger. Der zuständige Arzt weigerte sich den Eingriff, der mit einer Abtreibung verbunden gewesen wäre, vorzunehmen. So konnte sie ihren Sohn Gerhard Böhm am 15. Februar 1935 in Chemnitz zur Welt bringen. Die psychische Belastung war allerdings so hoch, dass die Mutter nach der Geburt in der Nervenklinik aufgenommen werden musste. Gerhard Böhm kam in eine Pflegefamilie nach Oelsnitz im Erzgebirge.
In seiner Pflegefamilie wuchs er behütet auf. Er lernte mit einem Jahr Laufen und unternahm mit zwei Jahren erste Sprechversuche. Mit sechs Jahren sprach er aber immer noch undeutlich und nicht in zusammenhängenden Sätzen. Dieser Entwicklungsrückstand wurde wahrscheinlich im Zuge der Einschulungsuntersuchung festgestellt. Nach einer Meldung des Gesundheitsamtes Stollberg wurde Gerhard Böhm am 18. März 1941 mit der Diagnose „angeborener Schwachsinn“ in die Landesanstalt Leipzig-Dösen eingewiesen.
Dort befand sich eine „Kinderfachabteilung“, in der Kinder beobachtet und auch getötet wurden („Kindereuthanasie“). Gerhard Böhms Pflegefamilie war sehr bemüht den Kontakt zu ihm zu halten. Sie schrieben regelmäßig Briefe, schickten Pakete und besuchten ihn. Wiederholt versuchten sie ihn wieder zu sich nach Hause zu holen. Aber alle ihre Anfragen lehnte der Arzt, Arthur Mittag, mit Verweis auf eine angebliche „Erziehungs- und Bildungsunfähigkeit“ ab. Auch Martha Böhm suchte den Kontakt zu ihrem Sohn, schickte Briefe und Pakete. Sie hatte inzwischen einen Lebenspartner gefunden und wollte ihren Sohn wieder zu sich nehmen. Auch ihr gelang es nicht. Nach unnachlässigem Drängen und Bitten gelang es den Pflegeeltern Anfang 1943 Gerhard Böhm für vier Wochen auf Urlaub zu sich zu nehmen. Der Junge fühlte sich wohl und es gab keine Probleme. Nach der Rückkehr in die Anstalt schrieb seine Pflegemutter, Hilma Hommel: „Der Urlaub ist eben zu kurz. Jeden Tag sagte er ich will hier bleiben zu Hause. Das ist […] so schwer für uns und auch fürs Kind. Meine Gedanken sind immer bei ihm.“
Am 8. Dezember 1943 wurde die gesamte „Kinderfachabteilung“ nach Großschweidnitz verlegt. Der Arzt beschrieb Gerhard Böhm in der Folgezeit als ruhig und freundlich. Er half auf der Station. Er blieb bis 1945 zur weiteren Beobachtung in der Abteilung, anders als viele andere Kinder, die oft innerhalb weniger Monate getötet wurden. 1945 legte Arthur Mittag jedoch immer strengere Maßstäbe an. In Gerhard Böhms Krankengeschichte finden sich ab dem 14. Februar 1945 typische Einträge, die auf eine gezielte Ermordung durch überdosierte Medikamente hindeuten: Er bekam Fieber, eine Bronchitis und schließlich eine Lungenentzündung. Er starb am 19. Februar 1945, vier Tage nach seinem zehnten Geburtstag. Gerhard Böhm wurde auf dem Anstaltsfriedhof beerdigt. Namenstafeln erinnern heute an die dort Bestatteten, auch an Gerhard Böhm.