Vor 85 Jahren – Der erste Transport aus der Heil- und Pflegeanstalt Troppau (Opava) in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein
09.12.25
In der Hoffnung, einen Krieg zu verhindern, hatten Frankreich, Großbritannien und Italien am 29. September 1938 im sogenannten Münchner Abkommen der Abtretung des Sudetengebietes von Tschechien an das Deutsche Reich zugestimmt. Nach der folgenden Besetzung durch die Wehrmacht wurde der „Reichsgau Sudetenland“ zu einem Teil des Deutschen Reiches.
Die Folgen waren auch bei der Betreuung von psychisch kranken Menschen spürbar. Da mit der Besetzung traditionelle Verwaltungsgrenzen durchschnitten wurden, fiel plötzlich ein großer Teil der Anstaltsbetten weg. Gleichzeitig etablierte die neue geschaffene Gesundheitsverwaltung in den Heil- und Pflegeanstalten eine rassistische Politik. Sie versuchte tschechisches Personal in den Anstalten durch deutsches zu ersetzen, als nichtdeutsch geltende Kranke, sollten in das verbliebene tschechische Staatsgebiet abgeschoben werden. Die Situation war zwischenzeitlich so unübersichtlich, dass ein Teil der psychisch Erkrankten sogar in sächsischen und bayerischen Anstalten untergebracht werden musste.
Am 15. September 1939 forderte das Reichsgesundheitsamt eine Übersicht über die „im Sudetengau befindlichen Anstalten für Geisteskranke, Epileptiker und Schwachsinnige“ an, die an die Kanzlei des Führers weitergeleitet werden sollte. Die Kanzlei war zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Organisation der systematischen Ermordung von psychisch kranken und geistig beeinträchtigten Menschen befasst. Am 7. Februar 1940 versandte sie schließlich über 5 000 Meldebogen in den „Sudetengau“, sie waren die Grundlage für die Auswahl der Opfer. Erfasst wurden vor allem Menschen, die in den drei großen psychiatrischen Anstalten in Troppau (Opava), Sternberg (Šternberk) und Wiesengrund (Dobřany) lebten. Im November 1940 wurde dem Leiter der Anstalt Troppau, Karl Girschek, der Abtransport von Patientinnen und Patienten aus seiner Einrichtung angekündigt. Er wusste bereits von Wiener Kollegen, was der Zweck dieser Verlegungen war, nämlich die Ermordung der Menschen in einer Gaskammer. Seine Versuche dagegen vorzugehen, blieben ohne Erfolg. Am 9. Dezember 1940 fuhren Busse auf das Gelände der Anstalt und brachten auf Grundlage der Meldebogen als „lebensunwert“ selektierte Männer und Frauen zum Troppauer Ostbahnhof. Von dort aus wurden sie mit einem Zug nach Pirna transportiert und in der Gaskammer der Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein ermordet. Sie waren die ersten Opfer der zentralen organisierten Krankenmorde aus dem „Reichsgau Sudetenland“. Am 10. und 12. Dezember 1940 kam es zu weiteren Verlegungen von Troppauer Patientinnen und Patienten in die Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein. Da die meisten Unterlagen vernichtet wurden, ist die genaue Zahl der Opfer heute unbekannt. Schätzungen gehen von ungefähr 370 Menschen aus. Die Verlegungen beunruhigten Teile der Troppauer Bevölkerung, wie Karl Girschek seinen Vorgesetzten berichtete. Vielleicht deswegen erfolgten die nächsten Verlegungen von Menschen aus Anstalten des Sudetengaus erst wieder im April 1941.
Insgesamt ist mit einer Opferzahl von über 1 000 Menschen aus dem „Reichsgau Sudetenland“ auszugehen, die während der zentral organisierten Krankenmorde starben.
Die Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein bemüht sich seit vielen Jahren, die Erinnerung an die NS-Krankenmorde auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens wachzuhalten. Neben verschiedenen Publikationen hat sie zusammen mit dem Lern- und Gedenkort Schloss Hartheim und dem Institut für Zeitgeschichte der Tschechischen Akademie der Wissenschaften in Prag die Wanderausstellung „Lebensunwert". Die nationalsozialistische „Euthanasie“ im Reichsgau Sudetenland und im Protektorat Böhmen und Mähren 1939–1945“ erarbeitet.
Kontakt
Hagen Markwardt (Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein, Öffentlichkeitsarbeit)
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