Film beweist Goebbels-Besuch in Zeithain
Sächsische Zeitung vom 15.04.2011
Jens Ostrowksi und Nicole Laube
Bislang war es ein unbewiesenes Gerücht. Durch neue Recherchen steht fest, dass Hitlers Propagandaminister Joseph Goebbels am 26. August 1941 in Zeithain war. Zum einen beweisen es Filmaufnahmen aus dem Bundesfilmarchiv in Berlin, zum anderen ein damals als vertraulich eingestuftes Dokument aus dem Propagandaministerium. Unverfälscht ist darin der Grund für den hohen Besuch schriftlich festgehalten: „Der Zweck der Fahrt sollte sein, (...) den Vertretern des Gaues Berlin einmal die in den Wochenschauen gezeigten Untermenschen in Natur vorzuführen und hierdurch zu zeigen, vor welcher Gefahr uns der Führer und die Wehrmacht gerettet haben.“
Angstvolle Blicke
Im Film sind zivil gekleidete Personen und hohe Wehrmachts-Offiziere zu sehen, die mit Goebbels das Lager durchschreiten. Die Gefangenen weichen zur Seite, hoffen mit zittrigen Knien, dass die Nazi-Delegation schnell vorbeizieht. Gefangenen, bei denen Goebbels stehen bleibt, ist die pure Angst anzusehen. Direkt in den Augen. „Es überrascht uns zu sehen, wie nah Joseph Goebbels an die russischen Gefangenen herantrat“, sagt Gedenkstätten-Leiter Jens Nagel vor dem Hintergrund der radikalen Nazi-Doktrin vom unhygienischen Untermenschen. Und wirklich: Hitlers späterer Nachfolger unterhält sich mit deutsch sprechenden Russen, bei anderen lässt er übersetzen. Zwar ist der Film unvertont, und doch gibt der anschließend aufgesetzte Bericht einen Einblick in die Gespräche. Frage: „Wie stehst Du zu Stalin?“ Antwort: „Stalin war noch nicht in unserer Stadt.“ Die Frage an einzelne Gefangenen, ob sie Bolschewiken seien, verneinten alle.
Wertvoller Fund
Für die Gedenkstätte ist der Fund ein wertvolles Dokument. Nicht, weil es sich um den Besuch eines hohen NS-Funktionärs handelt, sondern, weil bislang keine Filmaufnahmen aus dem Kriegsgefangenenlager zu Zeiten des Kriegs bekannt sind. „Wir können ziemlich genau lokalisieren, wo der Film gedreht wurde, weil das in jenem Abschnitt ist, den wir letztes Jahr erst untersucht haben“, erklärt Nagel. Den Gedenkstättenleiter erreichten Ende 2010 nahezu zeitgleich zwei Anrufe von Kollegen. Der Historiker Rüdiger Overmans aus Freiburg hatte bei der Arbeit einen Bericht über den Besuch Goebbels im Lager für sowjetische Kriegsgefangene in Zeithain entdeckt. Historiker Axel Drieschner aus Berlin, der zuvor schon die Ausgrabungen in der Gedenkstätte dokumentiert hatte, machte Jens Nagel auf ein Video in einem Internetportal aufmerksam. Dabei handelte es sich um eine Fernsehdokumentation, in der ein Stück eines Filmes verwendet wurde, der Goebbels bei einem Besuch in einem Kriegsgefangenenlager zeigt. Drieschner erkannte Ähnlichkeiten mit dem Lager in Zeithain und wies Nagel darauf hin. Vergleiche mit Fotos zeigen eindeutig: Es ist Zeithain. Nagel setzte sich mit dem Bundesfilmarchiv in Berlin in Verbindung. Auch dort war der Ort bislang unbekannt. Die Gedenkstätte hat sich nun die Aufführungs- und Nutzungsrechte an dem sechsminütigen Film gesichert. Er wird im Anschluss an die Gedenkfeier zur Befreiung des Lagers am 23. April erstmals öffentlich gezeigt. Dramatisch auch: Die Aufnahmen zeigen auf dem Lagergelände ein separates Lager für Gefangene, die sich etwas zu Schulden kommen haben lassen. Darunter wohl auch die beiden 23-jährigen Timofej Gienko und Ilja Ribickij sowie der 25-jährige Aleksander Choklow. „Alle drei Unteroffiziere hatten einige Tage zuvor einen Ausbruchsversuch unternommen und dabei angeblich einen Wachsoldaten erstochen“, sagt Jens Nagel. Aus den Unterlagen weiß er, dass am gleichen Tag des Goebbels-Besuchs das Todesurteil gegen die drei jungen Männer gesprochen wurde. „Und vier Tage später am 30. August 1941 wurden sie erhängt.“
Augenzeugen gesucht
Das Propagandaministerium zeigte sich nach dem Goebbels-Besuch übrigens enttäuscht: „Die Fahrt brachte insofern nicht das gewünschte Ergebnis, als die Gefangenen fast durchweg Weißrussen waren und daher durchschnittlich ein durchaus menschliches Aussehen hatten“, steht im Nazi-Bericht. Zeithain, soviel ist dem Historiker Jens Nagel klar, war von Berlin aus das nächstgelegene Russenlager. „Goebbels ist wahrscheinlich mit dem PKW hier angereist. Er wird wahrscheinlich auch in Riesa gewesen sein“, glaubt er. Unklar ist weiterhin, ob Goebbels das Kriegsgefangenenlager mehrfach besuchte. Dafür gibt es Hinweise. Die Gedenkstätte erhofft sich zu dieser Frage auch Mithilfe aus der Bevölkerung. Hinweise zum Goebbels-Besuch nimmt Jens Nagel unter der Nummer 03525 76 03 92 entgegen.
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