Ofenreste der Tötungsanstalt freigelegt
Sächsische Zeitung vom 14.09.2010
Auf dem Konferenztisch der Gedenkstätte Pirna-Sonnenstein liegen säuberlich aufgereiht kleine transparente Plastiktüten. Sie enthalten bunte Schmuckperlen, eine Porzellan-Sammelfigur, Brillengläser, Kämme. „Wir vermuten, dass es sich um Habseligkeiten von Anstalts-Insassen handelt“, sagt Axel Drieschner. Die Dinge waren einst den Hang zur Elbe hinabgekippt worden – gemeinsam mit der Asche ihrer ehemaligen Besitzer.
Was Axel Drieschner zum Tag des offenen Denkmals am Sonntag in der Gedenkstätte Sonnenstein berichtet, ist streckenweise nur schwer zu ertragen. Betroffen und nachdenklich lauschen die Besucher seinem Vortrag.
Die Foliebeutel auf dem Tisch enthalten nicht nur persönliche Gegenstände. Einer ist voll mit Knochensplittern. Anthropologische Untersuchungen, sagt Drieschner, hätten eindeutig ergeben, dass es sich um menschliche Knochen handelt. Zum Teil sind sie verbacken mit Schlacke. Es sind mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die Knochen von Kranken, die von den Nationalsozialisten 1940/41 auf dem Sonnenstein umgebracht wurden. Von knapp 15000 Toten geht die Forschung heute aus.
Knochen, Kämme, Brillen
Gemeinsam mit seiner Kollegin Barbara Schulz vom Büro für Zeitgeschichte und Denkmalpflege Berlin hat Drieschner über mehrere Jahre nach Spuren der Vernichtung in der ehemaligen Tötungsanstalt Sonnenstein gesucht – und hat sie gefunden. Am Hang hinter Gebäude Schlosspark 11 – hier wurden die Opfer verbrannt – haben die Forscher bei Sondierungsgrabungen verschiedene Asche-Schichten, Knochen sowie Schamotte-Steine von Kremierungsöfen gefunden. Sie haben weiter gesucht und im Keller des Gebäudes die Fundamente eines solchen Ofens unter einer Estrich-Schicht freigelegt. Die Funde sprechen für zwei Öfen der Firma Kori, so wie sie zum Beispiel im KZ Dachau verbaut waren.
Dass all dies so lange unentdeckt blieb, liege daran, dass man erst vor 20 Jahren damit begann, die Geschichte der Tötungsanstalt Sonnenstein überhaupt aufzuarbeiten, sagt Drieschner. Der Raum, in dem die Öfen standen, sei vom Strömungsmaschinenwerk zu DDR-Zeiten als Kopierbüro genutzt worden.
Sofort 1941, als die Nazis die Tötungsanstalt auf dem Sonnenstein schlossen, hatten sie begonnen, die Spuren ihrer Verbrechen zu kaschieren. Die Kremierungsöfen wurden bis auf die Grundmauern abgerissen, Estrich über die Fundamente gegossen. Der Schornstein, der sich mitten im Haus befand, wurde abgetragen. „Das Fehlen anschaulicher Zeugnisse begünstigte die lang anhaltende Verdrängung der ,Euthanasie‘-Morde“, schreiben Barbara Schulz und Axel Drieschner in einem Beitrag für das neueste Sonnenstein-Heft*. Wie die Untersuchungen zeigen, haben die Täter die Vertuschung der Morde aber nur so weit getrieben, wie sie „mit ihrem Streben nach Praktikabilität und Bequemlichkeit vereinbar erschien“. Sie hinterließen eben doch Spuren.
Elbhang wird Friedhof
Die Fundamente des Kremierungsofens sind jetzt regulär in der Gedenkstätte zu besichtigen. Der Hangbereich, in dem die menschliche Asche nachgewiesen wurde, soll ebenfalls Teil der Gedenkstätte werden, sagt Axel Drieschner. Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge wolle das Areal gestalten – mit Hinweistafeln, gepflegtem Grün und einem Kreuz. Was für die Nazis nur eine Müllhalde war, ist jetzt eine Begräbnisstätte. Die Zahl der Opfer, deren Asche an dieser Stelle des Hangs verschüttet wurde, lasse sich mit den punktuellen Grabungen nicht beziffern, erklärt Axel Drieschner. Er geht davon aus, dass es mehr als hundert gewesen sein müssen.
*„Sonnenstein“-Heft Nr. 8, Kuratorium Gedenkstätte Sonnenstein (Hg.), September 2010.
Christian Eißner