Tote sollen nicht namenlos bleiben
Sächsische Zeitung vom 09.06.2011
Jens Ostrowski
Seit Jahren kämpft Gedenkstättenleiter Jens Nagel darum, dass die zumeist sowjetischen Toten einen Namen bekommen. „Es ist unangenehm, wenn hier russische Familien auftauchen, eine Erinnerung an ihren gestorbenen Verwandten suchen und wir ihnen die nicht bieten können“, sagt Nagel.
Seit 2008 kommen immer öfter Besucher aus Russland. Damals hat das russische Verteidigungsministerium die 1945 beschlagnahmten Wehrmachtsakten online veröffentlicht. „Erst seitdem wissen viele überhaupt, was mit ihren Angehörigen passiert ist“, erklärt Nagel. Es sei Teil der stalinistischen Diskriminierungs- und Verfolgungspolitik gewesen, die russischen Kriegsgefangenen unter den Generalverdacht zu stellen, mit den deutschen kollaboriert zu haben. „Die Russen wollten deshalb lange Zeit nicht an die Opfer der Kriegsgefangenenlager erinnern. Deshalb wurden die Angehörigen lediglich als vermisst gemeldet“, weiß Jens Nagel.
Erst mit der Wende sei eine Aufarbeitung der Geschehnisse in Zeithain und an vielen anderen Orten in Ostdeutschland überhaupt möglich. „Aber selbst dem Bund ist es bislang nicht gelungen, die russischen Opfer mit Namenssteelen zu ehren. Aus finanziellen Gründen schafft er es nicht, seinen völkerrechtlichen Verpflichtungen, die mit Russland vertraglich festgehalten sind, nachzukommen“, betont der Gedenkstättenleiter. Das liege auch daran, dass es so gut wie keine Aufarbeitung zu Zeiten der DDR gab und sich deshalb seit der Wende in Sachsen ein Förderungsstau gebildet habe.
Um ein Zeichen zu setzen, wird die Gedenkstätte zum 70. Jahrestag des Angriffs der Deutschen Wehrmacht auf Russland am 22. Juni mehrere bedruckte Gedenkplanen mit 5100 Namen aufstellen, die zwischen dem 29. Juli und dem 16. Dezember 1941 in Zeithain starben. Der Förderverein der Gedenkstätte hatte die Gelder für die Realisierung gesammelt. „Und doch sollen diese Planen kein Ersatz für robuste Steelen sein“, betont Nagel. „Wir wollen mit unseren einfachen Mitteln ein Zeichen dafür setzen, dass die Bundesregierung endlich ihrer Verpflichtung nachkommt.“
Es sei schon bezeichnend, dass der deutsche Waldfriedhof in Nähe der Gedenkstätte im vergangenen Jahr für 300000 Euro saniert wurde. „Dort liegen etwa 400 deutsche Soldaten aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, bei uns ruhen 30000 Menschen. Das kann man den russischen Nachfahren doch gar nicht erklären“, sagt Nagel.
Und der Kampf der letzten Jahre scheint sich nun auszuzahlen. Mittlerweile hat die Stiftung Sächsische Gedenkstätten, die vom Bund finanziell gespeist wird, in Aussicht gestellt, bis 2015 die geforderten Steelen für 300000 Euro zu finanzieren. „Doch noch haben wir das nicht schriftlich.“