Fähnchen stecken, wo so viele umkamen – Schüler aus Radebeul und ihre Gäste aus der Ukraine ehren Kriegsopfer in Zeithain
Sächsische Zeitung vom 11.04.2011
Maria Schmidt
Da halten selbst die quirligsten Jugendlichen kurz inne: Es ist ein bewegender Augenblick, als die Schüler zusammen die Fähnchen an dem Ort in die Erde stecken, wo so viele Menschen auf grausame Weise zu Tode gekommen sind. Dies alles geschieht im Rahmen eines zwölftägigen Schüleraustauschs zwischen den Russischschülern der Klasse 10/1 des Radebeuler Lößnitzgymnasiums und Mittelschülern aus Obuchov, der ukrainischen Partnerstadt Radebeuls. Es ist der erste Austausch dieser Art zwischen den Städten. Im September werden die Radebeuler nach Obuchov reisen.
17 Opfer aus ihrer ukrainischen Heimatstadt hat das von den Nationalsozialisten zwischen 1941 und 1945 betriebene Kriegsgefangenenlager Ehrenhain Zeithain gefordert, und etwa 35000 Leben insgesamt. Nun ist es eine Gedenkstätte. Erst vor Kurzem sind die Namen der toten Obuchover ausfindig gemacht worden. In der Ukraine, die ehemals der UdSSR angehörte, sei die Aufarbeitung der Kriegsverbrechen noch in den Anfängen, so Gulnara Gey, Beauftragte der seit 1999 bestehenden Städtepartnerschaft zwischen Radebeul und Obuchov. Unter Stalin galten sowjetische Kriegsgefangene als Verräter und wurden deswegen in keiner Statistik als Kriegsopfer aufgeführt. Nun aber prangen ihre Namen auf den selbst gebastelten Fahnen der 15-und 16-jährigen Schüler. Endlich kann den gefallenen Rotarmisten ein würdiger Abschied bereitet werden. "Es ist mir unangenehm, dass ich vorher noch nie von diesem Sterbelager gehört habe, und es ist erschreckend, dass kaum jemand weiß, dass es sich ganz in unserer Nähe befindet ", sagt Michael Wendt, Klassensprecher der 10/1. Obwohl sich die Jugendlichen erst seit kurzer Zeit kennen, scheint ihr Umgang unbeschwert und herzlich. Sie verbringen den Schulalltag zusammen und seien kaum zu Hause bei den Gasteltern, weil sie so viel miteinander unternehmen, berichtet Gey. Das Interesse an den Gastschülern fördert auch die Motivation für die Fremdsprache: Problemlos können sich die Schüler verständigen. Seit fünf Jahren lernen die teilnehmenden Schüler bereits Russisch beziehungsweise Deutsch.
Die Zehntklässler und ihre Gäste besichtigten unter anderem Berlin und das Dresdner Grüne Gewölbe. Lyaschko Karina, ein ukrainisches Mädchen, zeigt sich besonders beeindruckt von Moritzburg und den Attraktionen des Hygienemuseums - einige der Gastschüler sind zum ersten Mal im Ausland. Obuchov und Radebeul verbindet nicht nur Partnerschaft, sondern auch Freundschaft, was gerade in diesem Schüleraustausch wichtig ist. "Wir sollten gemeinsam daran denken, was wir in Zukunft besser machen und wie wir aus der Geschichte lernen können", sagt Roland Hering, 67, in seiner Rede, die er vor dem Denkmal in Zeithain hält. "Wir müssen verstehen wollen, was schief gelaufen ist zur Zeit des Nationalsozialismus ", so der Rentner, der dem Bund der Antifaschisten Dresden angehört. Um 16.30 Uhr ist die Führung vorbei. Ein bereichernder Tag endet. Mit dem Bus geht es wieder zurück nach Radebeul. Die ehemalige Coswiger Gymnasiallehrerin Margot Kowaljowa bilanziert: "Für mich war das ein sehr emotionales, ergreifendes Erlebnis."